Der apokryphe Sonntag in der Spätantike und im frühen Mittelalter

Forschungsprojekt gefördert für die Jahre 2019-22 vom FWF

  1. Der christliche Sonntag als Ruhetag und Tag des Gottesdienstes wird bis heute als ein zentrales Element christlicher Identität und einer vom Christentum geprägten Gesellschaft wahrgenommen. Dennoch gibt es heute vielfältige Debatten über die Relevanz des Sonntags, da andere Religionen, nicht‐christliche Lebenskontexte und wirtschaftliche Interessen den Ruhetag infrage stellen. Daher ist es wichtig, die Geschichte der Entstehung der Sonntagsverehrung in der Spätantike und im frühen Mittelalter wissenschaftlich zu analysieren. Allerdings dauerte die Entwicklung einer christlichen Sonntagskultur mehrere Jahrhunderte bis ins frühe Mittelalter, obwohl bereits im Jahr 321 n. Chr. Kaiser Konstantin ein Gesetz zur „Ruhe am heiligen Tag der Sonne“ verordnet hatte.
  2. Methode: Das Projekt zielt darauf, folgende Fragen mit Hilfe der neuen Methode der „Intersektionalität“ zu beantworten: Was war der Grund und die Wirkung des Konstantinischen Gesetzes? Was bedeutete das für den Römischen Kalender im Allgemeinen? Hat der Sonntag die Rolle der römischen Markttage übernommen? Was war der Grund für die zögerliche Rezeption des Gesetzes von Konstantin? Was haben welche Christen (Männer/Frauen, Sklaven, Kaiser, Mönche/Nonnen, Handwerker) in verschiedenen Regionen vom Sonntag gedacht und an ihm getan? Wie sah der Einfluss des Judentums (Sabbat) aus? Wie wirkt sich das Zusammentreffen von Sonntag und Heiligenfesten aus? Was provoziert das Auftreten von mehr Sonntagsgesetzen und einer erhöhten Verehrung des Sonntags seit dem sechsten Jahrhundert? Warum haben wir apokryphe und pseudepigraphe Schriften zu diesem Thema?
  3. Hypothese und Textbasis: Die Bedeutung des christlichen Sonntags entstand als ein Aspekt der Christianisierung und Sakralisierung der christlichen Gesellschaft in der Spätantike und führt zu einer Uniformierung von Festkulturen, die früher in verschiedenen sozialen und religiösen Gruppen gefeiert wurden. Besonders das sechste Jahrhundert schien eine wichtige "Wasserscheide" zu sein, als neue apokryphe Literatur und Pseudepigraphie zu diesem Thema produziert wurde. Eine intensive Recherche mit Hilfe von Datenbanken, auch bezogen auf die Rezeption von zentralen biblischen Texten wie den „Zehn Geboten“, sowie mit Hilfe von Handschriftenrecherchen soll die Textbasis erweitern, um eine Geschichte der Sonntagsverehrung erzählen zu können. Zusätzlich werden relevante Papyri und Inschriften herangezogen.
  4. Innovation: a) Ein neuer „Calendar online of Late Antiquity“ (COLA) wird als Hilfsmittel und zur Visualisierung der Zeitrechnungen inklusive der Sonntage entwickelt. b) Eine neue Methodik (Intersektionalität) sowie neuere Einsichten in den Prozess der Christianisierung des Römerreiches und die Jahrhunderte der sogenannten "Völkerwanderung" müssen als Grundlage für das Verständnis der Entstehung des christlichen Sonntags herangezogen werden, um die überholten Deutungskategorien der Dekadenz (zunehmende Gesetzlichkeit, Judaisierung, Germanisierung) zu überwinden.

Projekthomepage und Datenbank

https://sola.acdh.oeaw.ac.at/

 

Forschungsteam

Univ.-Prof. Dr. Uta Heil

Canan Arikan

Kathrin Breimayer

Philip Polcar

Angela Zielinski Kinney